seilbahn.net | Themenbereiche | Urban | 2022-02-04

Doppelmayr: Seilbahnen multimodal

Urbane Seilbahnen im Zusammenwirken mit konventionellen Verkehrsträgern Mobilität ist das Herzblut der Ballungsräume. Doch die Grenzen herkömmlicher Formen urbaner Mobilität und ihrer reibungslosen Abstimmung scheinen erreicht. Was sichert die Zukunft, welche Möglichkeiten gibt es? Welchen Beitrag können urbane Seilbahnen zu einer multimodalen Mobilitätssicherung leisten?

Knappe Ressourcen – räumliche Grenzen

Mobilität in der Stadt erweitern, geht das überhaupt noch? Wer sich derzeit mit den Problemen des urbanen Verkehrs auseinandersetzten muss, hat leider nur noch wenige Lösungsoptionen. Angesichts immer knapper werdender finanzieller Mittel und schwindender kommunaler Flächenvorräte werden nicht mehr nur große Verkehrsausbauten verhindert, sondern auch die „kleineren“ Investitionen und Strukturmodifikationen eingeschränkt. Das wirkt sich auf die zentralen Ballungsräume aus – und zunehmend auf die Peripherien sowie deren manchmal ebenso kritischen Verkehrsdefizite.

Multimodalität – Wege zur Entlastung des urbanen Verkehrs

Was also gebietet die scheinbar unauflösbare Gemengelage der aktuellen Verkehrssituation? Noch mehr PR beim Ringen um die Meinungshoheit in Sachen urbaner Mobilität? Wohl kaum! Um neue Wege zu einer langfristig ausbaufähigen Verkehrsauslegung zu finden, braucht es vielmehr den Einstieg in einen multimodalen Strukturumbau. Wie kann dieser erreicht werden? Wie kann der sich stetig verdichtende urbane Verkehr flexibler und bedarfsgerechter ausgebaut werden?

Wie kann eine wirklich funktionale Multimodalität erreicht werden? Die Antwort ist so einfach, wie sie anspruchsvoll erscheint: Sie gelingt nur mit einer umfassenden Abstimmung aller relevanten Verkehrsprozesse miteinander. Die bisher gemachten Erfahrungen bei der Verknüpfung der sehr heterogenen Verkehrsvorgänge, z. B. in Rotterdam und Amsterdam, zeigen, worauf das Augenmerk zu richten ist: auf eine Art „connected intelligence“, also einer kontinuierlichen sensorbasierten, digitalen und zugleich dezentralen Verkehrssteuerung: in einer bedarfsgerechten aufeinander abgestimmten Lenkung von Bussen, Bahnen und allen Individualverkehren. Dass Seilbahnen in die digitale Netzabstimmung eingebunden werden können, zeigt z. B. das umfassende Digitalisierungskonzept von Doppelmayr. Es ermöglicht bereits heute eine weitgehende Integration in die Systeme verschiedener Verkehrsträger.

Urbane Mobilitätsausweitung durch Seilbahnen

Seilbahnen haben vor über 160 Jahren damit begonnen, den Luftraum für den Massentransport von Gütern und Personen zu erschließen – viel früher, als das mit dem Flugzeug gelang. Dies ist jedoch der breiteren Öffentlichkeit kaum mehr bewusst. Obwohl sich die Seilbahntechnik durch ihren weltweiten Einsatz in extremsten Geländebereichen und unter härtesten Umweltbedingungen zu einer umfassend ausgereiften Transporttechnologie entwickelt hat, wird sie häufig noch als reines Freizeittransportmittel angesehen – zu Unrecht. Die moderne Seilbahntechnik ist geradezu prädestiniert auch urban eingesetzt zu werden. Um es salopp zu formulieren, urbane Seilbahnen können als „Entlaster“ eine ideale Ergänzung des urbanen Verkehrsgeschehens bedeuten. Sie können sowohl Entlastungen als auch Erweiterungen bestehender Netze unterstützen oder zu Überbrückung von Netzlücken beitragen. Mit Seilbahnen gelingen schwierigste Linienführungen in dicht bebautem oder bergigem Gelände bis hin zur Überquerung breiter Fluss- oder mehrfach genutzter Verkehrsräume.

Dennoch sind Seilbahnen in der urbanen Anwendung in Zentraleuropa noch immer so etwas wie Exoten und weniger zahlreich vertreten als z. B. In Ballungszonen Lateinamerikas, Nordafrikas oder des Mittleren Ostens. Warum? Der Hauptwiderstand gegen urbane Seilbahnen erwächst oft bei den Anrainern zukünftiger Anlagen, die sich visuell gestört oder ihrer Wohngebietsprivilegierung beeinträchtigt fühlen. Hierauf wird inzwischen bei aktuellen Seilbahnprojekten mehr Aufmerksamkeit verwendet, um frühzeitig solche Stimmungen auszuräumen.

Die Erfahrung hierzu lehrt: Die Akzeptanz urbaner Seilbahnen wächst bei ihren Anrainern häufig erst im Verlauf des eigentlichen Betriebs einer Anlage. Seilbahnprojekte zur Entlastung schnell wachsender Ballungsräume Seilbahnen – was bieten sie im urbanen Einsatz? Die wichtigsten Vorteile vorab: Da Seilbahnen den Luftraum nutzen, benötigen sie viel weniger Fläche als bodengebundene Verkehrsträger und gewährleisten verlässlich die benötigte Transportleistung, ohne von etwaigen Staus und Störungen des terrestrischen Verkehrs beeinflusst zu werden. Sie sind außerordentlich betriebssicher und dabei durch ihren elektrischen Antrieb annähernd klimaneutral. Ihre Investitions- und Betriebskosten sind im Vergleich zum Schienenverkehrsneubauten viel günstiger.

Damit sind sie den nahezu leistungsgleichen, bodengebundenen Systemen oftmals überlegen. Seilbahnen haben, verglichen mit schienengebundenen Verkehrsmitteln, auch viel kürzere Bauzeiten und kleinräumigere Baufelder, zumal wenn es sich um U-Bahnen handelt. Sie lassen sich auch bei ihrem Betrieb viel flexibler an ein stark wechselndes Passagieraufkommen anpassen. Auch der Cargo-Transport ist möglich: Fahrräder, Rollstühle, Kinderwagen und Gepäck, selbst Paletten haben in den Kabinen Platz. Niveaugleiche Ein- und Ausstiege in den Stationen ermöglichen eine einfache Zugänglichkeit, automatisierte Be- und Entladesysteme sorgen für den reibungslosen Ablauf des Warentransportes ohne Einschränkung der Personenbeförderung. Und kaum weniger wichtig für Gebiete mit Wohnbebauung: Seilbahnen sind ungleich geräuscharmer als Schienenfahrzeuge oder der Verkehr auf der Straße. Dass Seilbahnfahren von Pendlern attraktiver als die Fahrt mit Bus oder Bahn empfunden wird, hat nicht zuletzt auch mit dem ruhigen und gleichmäßigen Fahrverlauf zu tun. Ein letzter wichtiger Punkt: Seilbahnen fahren dank modernster digitaler Steuerung weitgehend autonom und brauchen deshalb kaum Betriebspersonal. Doppelmayr Seilbahnen können auch heute schon digitalisierte Informationen in die Datennetze einer multimodal vernetzten Verkehrslenkung vermitteln. Ein weiterer Schritt zu einem effizienten, multimodalen Verkehrsausbau.
In Europa sind derzeit eine ganze Reihe wichtiger urbaner Seilbahnprojekte auf den Weg gebracht worden. Es sind dies Projekte die einer flexibleren multimodalen Verknüpfung der unterschiedlichsten Verkehrsträger den Weg bereiten könnten. Eines der interessantesten Projekte in dieser Hinsicht ist die „Câble A – Téléval“. Es ist das erste Seilbahnprojekt in der Region Île-de-France und liegt südöstlich des Pariser Stadtzentrums bzw. nordöstlich des Flughafens Paris-Orly. Das 110-Millionen-Euro-Projekt hat eine Gesamtlänge von 4,5 Kilometer und fünf Stationen, die direkt an weitere öffentliche Verkehrsmittel wie Metro, Bus oder Regionalbahn angeschlossen sind. Mit den Zehn-PersonenKabinen können pro Stunde und Richtung bedarfsgerecht 1.600 Passagiere transportiert werden. Die Seilbahn verbindet zukünftig vier verschiedene Gemeindegebiete im Département Val-de-Marne mit einem unmittelbaren Einzugsgebiet von ca. 20.000 Menschen und etwa 6.000 Arbeitsplätzen. Die Trasse folgt auf drei Viertel ihrer Länge einer stark frequentierten Regionalstraße parallel zu einer TGV Bahnstrecke und dem Verlauf der Marne.

Die Seilbahn ist auf insgesamt 3,2 Millionen Passagiere jährlich ausgelegt und ermöglicht der stark wachsenden regionalen Bevölkerung der Wohnviertel einen besseren Zugang zum Pariser Metronetz. Sie wird verschiedene quer verlaufende Bus- und Regionalbahnlinien besser miteinander verknüpfen, zwei staugeplagte Autobahnen zum inneren Pariser Ring entlasten und ausreichende Parkräume anbieten. Als Teil des regionalen Verkehrssystems wird die Seilbahn in das bereits bestehende Tarifsystem der Region integriert werden. Das mit der Gesamtaufsicht beauftragte Konsortium aller Planungen und betroffenen Gewerke wird bauseits von Doppelmayr geführt. Mitte 2025 soll die Anlage in Betrieb gehen.

Mit dem zukünftigen Seilbahnbetrieb wird nicht nur eine Entlastung des vielfach überlasteten Zubringerverkehrs zum zentrumsnahen Pariser ÖPNV-Netz geschaffen. Gleichzeitig entsteht auch ein „Puffer“ für das Passagieraufkommen in seinem Vorfeld. Das Projekt führt zu einer wirkungsvollen Entschärfung mehrerer, bislang neuralgischer Verkehrsschwerpunkte. Die Seilbahn wird zu einem wichtigen Baustein zur besseren verkehrstechnischen Verknüpfung. So gelingt ein weiterer Schritt zur multimodalen Erweiterung des Gesamtverkehrssystems im Umfeld der französischen Hauptstadt. Schon jetzt hat das Projekt eine außerordentliche Vorbildfunktion für die Lösung vieler ähnlicher Problemlagen im weiteren Pariser Umland erlangt. Es genießt deshalb höchste Aufmerksamkeit auch von der Pariser Stadt- und Verkehrsverwaltung und – noch viel weitreichender – von der französischen Staatsführung.

Zum Autor: Reinhard Fitz

Reinhard Fitz ist Head of International Business Development der Doppelmayr Seilbahnen GmbH und leitet die Entwicklung von multimodalen Mobilitätskonzepten mit Seilbahnen als integriertem Verkehrsmodus. Er verfügt über 25 Jahre Erfahrung in der Doppelmayr Gruppe, angefangen vom Projektingenieur bis hin zum Key-Accounter, und ist spezialisiert in Projektentwicklung, Projekt- und Kommunikationsmanagement bei urbanen Infrastrukturprojekten und Projekten mit komplexen Projektanforderungen.





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